Als ich am nächsten Morgen aufstehe, ist der Regen des gestrigen Tages vergessen. Auch die Tatsache, dass ich meinen Schlafsack einen Teil der Nacht offen lassen musste, damit es mir nicht zu warm wird, spricht dafür, dass hier jetzt Sommer ist. Zwar steht mein Zelt im Schatten eines Zaunes, aber nur am frühen Morgen; die Sonne steigt dermaßen schnell, dass man irgendwann raus aus dem Zelt muss, um keine Saunagefühle zu entwickeln. Auf dem Weg zu den Toiletten lerne ich einen etwa 40-Jährigen kennen, der auch alleine unterwegs ist, aber per Autostop. Sein Zelt ist noch kleiner als meins: Ein 1-Personen Tunnelzelt, gerade mal 50 Zentimeter hoch. In so einer Hundehütte kann man dann wirklich nur noch schlafen. Auch mit einem jungen Pärchen aus Deutschland, Didi und Patricia, komme ich ins Gespräch, während ich mir meinen Frühstückskaffee zubereite. Und hier zeigt sich mal wieder, dass man seinen Urlaub nicht als Einzelgänger verbringen muss, nur weil man alleine in Urlaub fährt. "Bist du mit dem Fahrrad von Deutschland hierher gefahren?" ist etwa so eine Frage, die leicht das Eis brechen kann und Kontakte zu anderen Menschen schafft.
Diesen Vormittag nutze ich erstmal zu einer weiträumigeren Erkundung der
Umgebung des Campingplatzes. Der Sonnenschein und die Bergkulisse hier am
Nordende des Gardasees bieten sich geradezu an, einige Fotos zu schießen.
Nachdem ich erst Richtung Osten am Ufer entlanggefahren bin, bringe ich
irgendwann das Fahrrad wieder zum Campingplatz und begebe mich nochmal zu
Fuß in die Innenstadt - natürlich statte ich hierbei auch meiner
Eisdiele wieder einen Besuch ab.
An der Rocca deutet fast nichts auf das gestrige Spektakel hin. Die
Tribünen sind zwar immer noch vorhanden, aber der Platz vor dem
Wassergraben ist ansonsten relativ leer. Ich schaue mir dieses alte
Gemäuer an - zumindest, soweit es öffentlich zugänglich ist -
und setze mich anschließend auf eine Bank auf einer der Hafeneinfahrt
vorgelagerten Halbinsel, wo ich mich für eine Weile in meine
Reiselektüre - den Fantasy-Roman "Die Elfensteine der Shannara"
- vertiefe.
"Im Jahre 1439 transportierte die "Serenissima Repubblica" von Venedig eine Flotte von Galeeren und anderen Schiffen von der Adria über den Fluß Adige und über die Berge, um sie in die Gewässer des Gardasees in der Nähe von Torbole hinabgleiten zu lassen. Dies, um den Truppen der Visconti von Mailand, gegen die sie Krieg führten, in den Rücken zu fallen.
Für jene Zeiten ist es ein unglaubliches Ereignis gewesen, und in den Geschichtsbüchern wird daran immer noch als eine außergewöhnliche Tat erinnert.
Die Idee, die die "Notte di Fiaba" animiert, ist, dass die Stadt Riva um die Ehre bittet, eine ihrer Mannschaften an der Schlacht teilnehmen zu lassen.
Um die beste Mannschaft auszuwählen, richtet man eine Art Turnier zwischen den verschiedenen Stadtteilen (den sogenannten "Quadre") aus, in dem diese sich in einer Reihe von Wettkämpfen der Semannskünste messen.
Die siegreiche "Quadra" wird von einem Gefolge in Kostümen jener Epoche zum Hafen begleitet und dort, die Wappen von Riva tragend, die Galeere besteigen und sich auf den Weg zur Schlacht begeben."
Diese Zeilen stehen nicht in diesem Fantasy-Roman, sondern auf einem Informationsblatt, das mir kurz darauf in die Hände fällt. Unnötig zu erwähnen, dass die "Notte di Fiaba" am letzten August-Wochenende stattfindet. Da bin ich ja mal wieder mitten im Geschehen gelandet. Während ich noch auf meiner Bank sitze, marschiert eine Prozession in mittelalterlichen Kostümen über eine Brücke in die Rocca. Dieser Hintergrund erklärt dann nicht nur die gestrigen Geschehnisse in der Stadt, sondern auch, warum sich hier momentan recht viele Touristen aufhalten.
Die Notte di Fiaba beginnt Freitag nachmittags, und klingt am Sonntag vormittag langsam aus. Höhepunkt ist ein Feuerwerk am Abend, das ich mir schonmal gedanklich in meinen Tagesplan notiere. Auf dem Heimweg kaufe ich mal wieder ein bißchen an Lebensmitteln ein, diesmal aber mit einem etwas gefestigteren Italienisch als am Vortag. Dann suche (und finde) ich einen anderen Weg zur Strandpromenade, bei dem ich inmitten der bereits erwähnten Grünanlage rauskomme. Im Gegensatz zur Bonner Hofgartenwiese sind die Rasenflächen hier jedoch nur spärlich mit Sonnenanbetern gefüllt; die Leute, die sich hier aufhalten, scheinen sich eher dem Aktivsport verschrieben zu haben. Vereinzelt sieht man auch Frisbee-Werfer. Ich denke, die Stadt hat sich einen großen Gefallen damit getan, diese Grünanlage zu erhalten und nicht das Gelände an Hotels, Campingplätze und Privatleute zu verkaufen. Ein Geschäft hätte man damit bestimmt machen können, aber diese Anlage trägt wirklich einiges zur Schönheit der Strandpromenade bei.
Diese Ecke des Gardasees ist auch bei Windsurfern sehr beliebt. Der Campingplatz "Bavaria", auf dem ich mich einquartiert habe, beinhaltet wohl auch eine Surfschule. Darauf lassen nicht nur die auf dem Campingplatz untergebrachten Boards und Riggs schließen, sondern auch eine Apparatur auf der Wiese vor dem Campingplatz, die für Surf-Trockenübungen genutzt wird. Hier ist ein Surfbrett, das sich frei um 360 Grad drehen kann, auf einen Sockel montiert, mit einem Rigg obendrauf. Surfneulinge sollen hier vermutlich das Gefül dafür bekommen, wie sich ein Segel anfühlt, wenn der Wind es packt, bevor sie aufs Wasser gelassen werden.
Zurück am Campingplatz stelle ich fest, dass sich auch der Strand gut gefüllt hat. Das Bild, das sich mir hier bietet, gibt meinem Urlaub dann wieder eine kleine ironische Note. Ich hatte es ja abgelehnt, mit einigen meiner Kumpels nach Spanien zu fahren, da mir nicht so nach Strandleben, Sonnenbaden und Touristenmassen war, und hier am Strand habe ich jetzt eben genau diese Situation. Nichtsdestotrotz schnappe ich mir mein Buch und Handtuch und lege mich dazu. Zwischendurch gehe ich auch mal schwimmen, betrachte die vorbeiflanierenden Italienerinnen - auf gut deutsch: Ich mache für einige Stunden richtig klassichen Strandurlaub.
Am Spätnachmittag verabrede ich mich mit Didi und Patricia, die sich heute abend auch die Höhepunkte der Notte di Fiaba anschauen wollen. Irgendwann, nachdem ich mir ein Omelett als Abendessen zubereitet (und dieses natürlich auch gegessen) habe, treffen wir uns vor ihrem Zelt, und schlendern gemeinsam Richtung Innenstadt. An der Rocca bietet sich das selbe Bild wie am gestrigen Abend, mit dem Unterschied, dass es heute voller ist, und die Wettkämpfe sind andere. Der richtige Höhepunkt kommt einige Stunden später, die wir uns in den Cafes und Eisdielen der Stadt recht kurzweilig gestaltet haben: Das Feuerwerk. Dieses wird, passend zum Hintergrund der gesamten Veranstaltung, von zwei Schiffen aus abgefeuert, die vor der Stadt vor Anker liegen. Dieses Feuerwerk ist sicher nicht das größte oder gar teuerste, das ich bisher erlebt habe, aber vermutlich das schönste und interessanteste: Die vielen Raketen und Feuerwerkskörper, die im Wechsel von den beiden Schiffen abgefeuert werden, sollen eine Seeschlacht symbolisieren, und als genau das kommt es bei der Menge begeisterter Zuschauer an. Etwa eine halbe Stunde lang stehen wir mit einigen hundert anderen Menschen am Ufer und schauen uns das Spektakel an, bevor wir gegen elf Uhr den Rückweg zum Campingplatz antreten. Dort setzen wir uns dann noch an die Campingtisch-Garnitur der beiden, die ja mit dem Auto angereist sind, und leeren eine Flasche italienischen Rotwein, bevor wir uns in unsere Zelte verziehen.