Mount Whitney

Nach der Abfahrt aus dem Death Valley fahren wir gen Westen über einen Bergrücken, welcher das Tal begrenzt. Von hier aus genießen wir unseren ersten Blick auf die Sierra Nevada - allerdings nicht auf unser Ziel Mount Whitney, wie wir eigentlich alle fälschlicherweise annehmen. Der Mount Whitney versteckt sich nämlich etwas im Hintergrund und erscheint daher deutlich kleiner als andere Berge, welche näher, aber deswegen keineswegs höher sind. So soll es noch bis zu unserer Einfahrt ins Owens Valley am Ostrand der Sierra dauern, bis wir unser Ziel wirklich zweifelsfrei identifizieren können ...

 
Anfahrt auf die Sierra Nevada
Zwei Bergketten liegen in nord-südlicher Richtung zwischen dem Death Valley und dem Owens Valley am Ostrand der Sierra Nevada. Zwar haben wir auf der zweiten Bergkette eine Radiostation erwischt, die Hard Rock spielt, aber ein Blick auf unser Ziel ist uns bis dahin noch nicht vergönnt. Erst als wir die Berge quasi direkt vor uns haben, wissen wir, welcher von ihnen der Mount Whitney ist: Nicht etwa der am höchsten erscheinende in der Mitte des Fotos, sondern die kleine Spitze, die ziemlich exakt oberhalb des Autos zu sehen ist.
Mount Whitney
Und hier noch einmal aus der Nähe und mit Teleobjektiv. Das breit ausgeschnittene Tal im Vordergrund beherbergt den Mount Whitney Trail, über den wir morgen den Anstieg auf den Gipfel wagen wollen. In dieser Aufnahme sieht der Mount Whitney schon um einiges majestätischer aus als noch von größerer Entfernung. So taucht auch immer wieder die Frage auf, ob ein Aufstieg im Mai mit unseren Mitteln wirklich drin ist. Vermutlich werden wir weiter oben auf mehr Schnee stoßen, als uns lieb ist.
Whitney Portal Campground
Whitney Portal am Ende der Straße erweist sich als Touristenfalle. Zwar ist hier deutlich weniger los als an vergleichbaren Plätzen in den Alpen, aber es gibt hier sowohl ein Restaurant als auch einen Souvenirladen. Die Warnungen vor Bären sind allgegenwärtig, so auch auf dem Campground, der so früh im Jahr offensichtlich noch kostenlos ist. Hier schlagen wir unser Lager auf und erkunden dann erstmal die Umgebung, so auch den unteren Teil des Mount Whitney Trails, den wir ja morgen früh im Dunkeln in Angriff nehmen werden.
"For poop bags only"
Außer uns wird morgen nur eine weitere Gruppe den Anstieg versuchen (welche aber eine mehrtägige Tour macht und daher schon auf halber Höhe campt). Im Sommer aber ist der Trail mit bis zu 200 Leuten pro Tag hoffnungslos übervölkert. Wenn diese Leute alle in die Wildnis kacken würden, könnte die Natur das gar nicht verarbeiten. Man bekommt daher am Permit Office in Lone Pine sogenannte "poop bags" ausgehändigt, in denen man seinen organischen Unrat wieder vom Berg mit runterbringen und letztendlich in diesem Container entsorgen kann.
Lone Pine Lake
Als Training (und um den Trail kennenzulernen) geht ein Teil der Gruppe schon heute ein Stück des Weges. Nach zweieinhalb Meilen gelangt man an diesen See, der (wie man am Schnee sehen kann) allerdings etwas zu kalt zum Schwimmen ist. Die Tatsache, dass der Weg bis hierhin recht einfach ist (zwar steil, aber ohne technische Schwierigkeiten), stärkt unseren Optimismus bezüglich des morgigen Tages. Dass der Trail weiter oben ganz anders aussieht, hätte uns allerdings klar sein sollen.
(Foto © 2002 Elke Thomas)
Frühstückspause am Mirror Lake
Am nächsten Morgen ist es dann so weit. Um 4:20 Uhr brechen wir im Schein der Taschenlampen auf zu dem bis dato höchsten Berg unserer Wandererkarriere. Insgesamt 36 Kilometer und 2000 Höhenmeter bergauf erwarten uns heute. Am Mirror Lake, nach knapp einem Drittel des Hinweges, haben wir 7 Uhr, und die Sonne ist gerade über den Bergen aufgegangen. Da kommt ein so idyllisches Plätzchen gerade richtig für die Frühstückspause.
Schnee auf den "99 switchbacks"
Nach etwas mehr als der Hälfte des Weges gelangt man - jetzt schon deutlich über der Baumgrenze - an die berümt-berüchtigten "99 switchbacks". Die Zählungen reichen von 96 bis 103, aber das ist uns im Moment relativ egal. Nachdem die unteren 20 oder 30 noch relativ einfach zu bewältigen waren, versinken wir spätestens an dieser recht steilen, glücklicherweise durch ein Stahlkabel gesicherten Stelle bis zu den Knien im Schnee. Der Rest der Serpentinen wird zu einem Spießrutenlauf zwischen Schnee auf der einen und dem Abgrund auf der anderen Seite, nur unterbrochen durch Stellen, wo der Weg vollkommen unter einer einheitlich steilen Schneefläche verborgen bleibt, und die ein ums andere Mal unseren Herzschlag in arge Höhen treiben.
Trail Crest
Auf dem oberen Teil der Serpentinen verschwindet der Weg dann vollkommen, und nur noch auf allen vieren läßt sich das letzte Stück bis zum Trail Crest bewältigen. Wenn man das geschafft hat, ist man keineswegs in Sicherheit, da es auf der anderen Seite, nach Westen hin, noch viel steiler abwärts geht. Man befindet sich hier oben auf einem schmalen Schneegrat (welcher auch jederzeit abbrechen könnte), und hat kaum Gelegenheit, die wirklich atemberaubende Aussicht zu genießen. Im Nachhinein betrachtet ist dieser Moment, wenn man das erste Mal über den Grat nach Westen schauen kann, noch um einiges bewegender als das Erreichen des Gipfels selbst.
Auf dem John Muir Trail
Auf der "Rückseite" des Kamms geht es dann auf einem Trail, welcher erst wieder einige Meter abwärts führt, weiter Richtung Gipfel. Auch wenn dies wesentlich sicherer erscheint als die Kletterei auf der anderen Seite, haben wir doch noch einige schwierige Passagen zu überwinden, an denen der Weg vereist oder unter einer Schneeverwehung verschwunden ist. Die Sierra Nevada ist nämlich ein recht junges Gebirge, und da die Erosion noch nicht so weit fortgeschritten ist, geht es eigentlich überall ziemlich steil nach unten. Mittlerweile sind wir auch schon auf 4000 Metern angelangt, und die dünne Luft macht die fortwährende Konzentration und körperliche Anstrengung nicht gerade einfacher.
Das letzte Schneefeld vor dem Gipfel
Je weiter wir nach oben kommen, umso mehr hat jeder mit sich selber zu kämpfen, was dazu führt, dass die Gruppe auseinanderbricht und jeder in dem Tempo dem Gipfel entgegengeht, das ihm am angenehmsten erscheint. So kommt es auch zu diesem Foto, auf dem ich Elke, die gerade das letzte Schneefeld überquert (welches noch einmal richtig steil und rutschig ist), vor diesem einmaligen Hintergrund erwische: Die Sierra Nevada in ihrer ganzen, aus dieser Perspektive sehr abweisend erscheinenden Pracht.
Geschafft!
Und dann, um drei Uhr nachmittags, haben wir es tatsächlich geschafft: Die ganze Gruppe ist auf dem Gipfel des 4418 Meter hohen Mount Whitney angekommen. Die körperliche Erschöpfung führt allerdings, zusammen mit der dünnen Luft und dem auch langsam aufkommenden Zeitdruck, dazu, dass man diesen Moment gar nicht vollkommen genießen kann. Die wahre Begeisterung über die Leistung des heutigen Tages wird sich erst in den nächsten Tagen vollständig einstellen. Dennoch: Ein großartiger Moment, der natürlich auch ein Gruppenfoto verdient. Von links nach rechts: Albert, Michael C., Elke, Massimo, Michael D.
Der Eingang zur Rutschbahn
Direkt neben den 99 Serpentinen gibt es ein Schneefeld, welches in mehreren Berichten als gute - allerdings nicht ganz ungefährliche - Rutschbahn für den Rückweg empfohlen wird. Michael C. zieht es als einziger vor, wieder über die Serpentinen hinunterzuklettern; alle anderen wählen das Schneefeld. Allen voran Albert, der sich hier als erster auf den Weg macht. Letztendlich kommen wir durch diesen Weg alle deutlich eher unten an, als es anders der Fall gewesen wäre, dennoch soll nicht verschwiegen werden, dass ich mir beim Rutschen das Hinterteil verletzt habe: Ich habe mir auf dem vereisten Schnee in meiner doch recht dünnen Wanderhose sprichwörtlich "den Arsch aufgerissen".
Abstieg am Abend
Am Ende eines langen Tages kommen Elke und ich, die quasi die Nachhut bilden, dann doch noch in Zeitnot. Diese Bild entstand oberhalb von Mirror Lake, als wir noch etwa 40% des Rückweges vor uns haben. Als es später vollkommen dunkel ist, haben wir immer noch ein Schneefeld zu überqueren und können von Glück reden, dass wir danach den Weg wiederfinden. Die restlichen zwei Meilen stellen dann keine Schwierigkeit mehr dar, da der Weg leicht zu finden ist, aber mittlerweile sind die Schuhe vollkommen durchnäßt, die Füße schmerzen, und wir sind froh, als wir letztendlich um kurz vor elf wieder auf unserem Campground eintreffen.

 
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